Das Leaf Label ist ein Alptraum für jeden Rezensenten – veröffentlicht es doch Musikprojekte, die sich gar nicht recht einordnen lassen. Ruhig ist die Musik oftmals und spannungsvoll, abstrakt und ungewöhnlich, zwischen elektronischen Klängen, Klassik und Folk changierend. Eines verlangen die Platten auf jeden Fall: Aufmerksamkeit. Aber wer sich darauf einläßt, wird nicht selten mit neuen musikalischen Erfahrungen belohnt.
Da passt Cecile Schott, eine junge französische Musikerin und besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Colleen, ganz wunderbar ins Labelprogramm. Mit ihrer dritten Platte "Les Ondes Silencieuses" wird sie auf der Suche nach ungewöhnlichen Klängen ausgerechnet in der Vergangenheit fündig, denn sie spielt ihre akustisch gehaltene Musik teilweise mit historischen Instrumenten ein. Das wohl ungewöhnlichste Instrument ist eine Viola da Gamba – Vorläuferin des Violincellos, allerdings mit sieben Seiten und angeschlagen wie eine Gitarre. Dieses Instrument entdeckte Cecile, als sie noch im Teenageralter einen Film über den Musiker Marin Marais sah: ein Komponist, der im 17. Jahrhundert mit besagter Viola da Gamba Erfolge feierte und heute fast vergessen ist. Es dauerte Jahre, bis Schott einen Instrumentenbauer fand, der ihr ein ähnliches Gerät nachbauen konnte, und nachdem sie selbst überrascht von dessen klanglicher Fülle war, prägt es jetzt den Klang ihrer Platte. Aber auch andere Instrumente sind zu hören, die in einem Pop- Kontext eher exotisch scheinen: das Spinett etwa, Glasinstrumente, Klarinetten und die klassische Gitarre, von der Multiinstrumentalistin selbst gespielt.
Colleens Album ist der passende Soundtrack für die Entschleunigung. Die Musik bekennt sich zur Stille, entfaltet nur langsam ihre Melodien, wirkt seltsam entrückt und scheint manchmal fast im Raum zu verhallen. Dementsprechend läßt sich der Albumtitel „Les Ondes Silencieuses“ mit „Stilles Wasser“, zugleich aber auch mit „stille Wellen“ übersetzen, und diesen Gegensatz zwischen Stille und Bewegung fängt Schott mit ihrer Musik ein: ruhig und schön, teilweise improvisiert, sehr reduziert in der Instrumentalisierung, aber auch mit Dissonanzen versehen. "Minimal acoustic music" nennt die Künstlerin ihre Klänge auf der Myspace- Homepage, und selten hat eine Platte auf ähnliche Weise dazu eingeladen, akustische Musikinstrumente als Klangkörper zu entdecken. Denn häufig erklingt ein Instrument alleine, seinem Klang wird Raum zugestanden. Mit ihrer gelungenen Mischung aus Klassik, Folk, Postrock und Ambient lädt Colleen dazu ein, Musik als Erfahrungsraum zu begreifen, der auch in der heutigen Zeit noch Entdeckungen zuläßt. Manchmal muss man dafür jedoch einen möglichst weiten Umweg über die Vergangenheit nehmen.
http://www.myspace.com/colleenmusique