Freitag, 7. März 2008

Soundtrack für die Entschleunigung: Colleen "Les Ondes Silencieuses"


musikalische Wasserlandschaften: die französische Musikerin Cecile Schrott veröffentlichte 2007 unter ihrem Projektnamen "Colleen" ein instrumentales Album, das auf sehr ungewöhnliche Weise Raum einfordert

Das Leaf Label ist ein Alptraum für jeden Rezensenten – veröffentlicht es doch Musikprojekte, die sich gar nicht recht einordnen lassen. Ruhig ist die Musik oftmals und spannungsvoll, abstrakt und ungewöhnlich, zwischen elektronischen Klängen, Klassik und Folk changierend. Eines verlangen die Platten auf jeden Fall: Aufmerksamkeit. Aber wer sich darauf einläßt, wird nicht selten mit neuen musikalischen Erfahrungen belohnt.
Da passt Cecile Schott, eine junge französische Musikerin und besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Colleen, ganz wunderbar ins Labelprogramm. Mit ihrer dritten Platte "Les Ondes Silencieuses" wird sie auf der Suche nach ungewöhnlichen Klängen ausgerechnet in der Vergangenheit fündig, denn sie spielt ihre akustisch gehaltene Musik teilweise mit historischen Instrumenten ein. Das wohl ungewöhnlichste Instrument ist eine Viola da Gamba – Vorläuferin des Violincellos, allerdings mit sieben Seiten und angeschlagen wie eine Gitarre. Dieses Instrument entdeckte Cecile, als sie noch im Teenageralter einen Film über den Musiker Marin Marais sah: ein Komponist, der im 17. Jahrhundert mit besagter Viola da Gamba Erfolge feierte und heute fast vergessen ist. Es dauerte Jahre, bis Schott einen Instrumentenbauer fand, der ihr ein ähnliches Gerät nachbauen konnte, und nachdem sie selbst überrascht von dessen klanglicher Fülle war, prägt es jetzt den Klang ihrer Platte. Aber auch andere Instrumente sind zu hören, die in einem Pop- Kontext eher exotisch scheinen: das Spinett etwa, Glasinstrumente, Klarinetten und die klassische Gitarre, von der Multiinstrumentalistin selbst gespielt.

Colleens Album ist der passende Soundtrack für die Entschleunigung. Die Musik bekennt sich zur Stille, entfaltet nur langsam ihre Melodien, wirkt seltsam entrückt und scheint manchmal fast im Raum zu verhallen. Dementsprechend läßt sich der Albumtitel „Les Ondes Silencieuses“ mit „Stilles Wasser“, zugleich aber auch mit „stille Wellen“ übersetzen, und diesen Gegensatz zwischen Stille und Bewegung fängt Schott mit ihrer Musik ein: ruhig und schön, teilweise improvisiert, sehr reduziert in der Instrumentalisierung, aber auch mit Dissonanzen versehen. "Minimal acoustic music" nennt die Künstlerin ihre Klänge auf der Myspace- Homepage, und selten hat eine Platte auf ähnliche Weise dazu eingeladen, akustische Musikinstrumente als Klangkörper zu entdecken. Denn häufig erklingt ein Instrument alleine, seinem Klang wird Raum zugestanden. Mit ihrer gelungenen Mischung aus Klassik, Folk, Postrock und Ambient lädt Colleen dazu ein, Musik als Erfahrungsraum zu begreifen, der auch in der heutigen Zeit noch Entdeckungen zuläßt. Manchmal muss man dafür jedoch einen möglichst weiten Umweg über die Vergangenheit nehmen.

http://www.myspace.com/colleenmusique


Sonntag, 2. März 2008

Thüringen (Lyrik)


Thüringen

doch wie mir der Mund
wuchs mit deinen
Schatten und
Wismuthalden
und zubetonierten
Flussbetten und Hügeln und
Mülldeponien
und Schuttbergen
und Abrisshäusern ich

streite ab und schiebe mich
vorwärts mit den Jahren trage
Ablagerungen auf der
Zungenspitze Kies
zwischen den Zähnen und das
Knirschen hört nicht auf das geht
tiefer mit den Wurzeln und
Schritten geht es mich an
mit der Zeit


Musik, zu schön um Pop zu sein: Stateless "Stateless" (!K7)


Melancholisch und schön: der elektronische Indiepop von Stateless. "These guys are deep" (Roots Manuva)

Was wohl Coldplay- Sänger Chris Martin derzeit macht? Wahrscheinlich steht er vor dem Heimstudio einer kleinen britischen Band namens Stateless, irgendwo in einem Industrieviertel der Stadt Leeds, und überlegt sich, wie er an deren unveröffentlichtes Songmaterial herankommt. Hätte er ja auch selbst drauf kommen können, dass sich melancholische Rockmusik ganz wunderbar mit den Errungenschaften der Techno- und Clubkultur kombinieren läßt! Diese Band war aber schneller gewesen, und zu allem Unglück erinnert ihn die Stimmlage von Sänger Chris James sogar an seine eigene. Jetzt steht er also hier vor dem Studio und will herausfinden, wie die Musiker Ambient-Flächen und Drum&Bass-Rhythmen in ihre Songs weben, ohne die Intimität der Kompositionen zu zerstören. Als die ersten Töne von drinnen an sein Ohr dringen, merkt er, wie zerbrechlich die Lieder trotz aller elektronischen Spielereien sind. Eine Träne läuft ihm über die Wange, und er denkt darüber nach, ob Popmusik immer dann bei sich selbst ist, wenn sie überraschend intime Momente hervorrufen kann.
Doch plötzlich fällt Chris Martin auf, dass Stateless manchmal über das Ziel hinausschießen: zum Beispiel, wenn sie opulente Streichersamples auffahren, die viel zu schön sind um nicht auch kitschig zu sein. Und als ihm zudem noch andere Bands in den Sinn kommen, die ein ähnliches Konzept von Popmusik verfolgt haben: Radiohead etwa, UNKLE, Archive oder die verblichenen Sneaker Pimps, hat er verstanden. Er läßt das Spionieren sein und macht sich davon, ohne einen Einbruch in das Tonstudio riskiert zu haben. Die schwelgenden Melodien von Stateless behält er aber trotzdem im Ohr.

http://www.myspace.com/statelessonline


http://www.statelessonline.co.uk/