Freitag, 17. Oktober 2008
Kleinstadtindianer
Sie reiten nicht. Aber
sie bewachen
den Mond, wenn sie sich
nachts sammeln unten
auf dem Parkplatz wo
die Lieferwagen stehen:
sie werden ausgespäht
von Nachbarsaugen
hinter Gardinen
Und einer ruft in den Wind hinaus
ein anderer zeigt Kunststücke
auf dem Rücken seines Skateboards
Oh, sie trauen nicht der Ruhe
haben kein Nachtlager aufgeschlagen
und immer wieder
das Zusammenstecken der Köpfe
das Austauschen von Küssen
mit blassen Mädchen
gegenüber auf dem Bahndamm
wachsen Kabel aus dem Gras
kein Zug schlägt hier mehr Funken
Dann plötzlich der Aufbruch
Sie ziehen nach Hause oder
in eine Kneipe
wo es kein Bier mehr gibt: unterwegs
werden die Risse im Asphalt
zu kleinen Nattern.
Freitag, 12. September 2008
Ostseebad Lubmin
(Gedicht, Entwurf)
Wir haben den Stein, den ungeschliffenen,
zurück ins Meer geworfen. "Hoffnung"
steht auf einem Boot, in roter Farbe,
ein Puppenspieler spielt ohne Publikum
am Strand. Und wieder
Staumeldungen, irgendwo im Radio,
das Ausbleiben der Wellen. Ein Kind
fragt, ob Plankton Tiere seien
oder Pflanzen.
Der Puppenspieler packt seine Sachen
und geht. Was bleibt, ist die Behauptung,
das alles im Meer anfing: das Leben, so
sagst du, vielleicht auch die Liebe. Und
irgendwo da draußen liegt ein Stein,
ungeschliffen ins Meer geworfen,
bis ihn der nächste findet und
zurück schleudert.
Das Badespielzeug kann bestellt werden bei Baby- Walz
Dienstag, 9. September 2008
Blutige Ernte - Warum Dariusz sterben musste
Einen Eindruck in die unmenschlichen Zustände vermittelt der aktuelle Newsletter des Journalisten Jürgen Roth, den ich hier wortwörtlich wiedergebe:
SKLAVENARBEIT IN EUROPA
La terra promessa
Das gelobte Land schien für viele Wanderarbeiter und Erntehelfer aus Polen dort zu sein, wo die Tomaten reifen, die zu den besten der Welt gehören, die aus Foggia. La terra promessa liegt in Apulien, am Stiefelabsatz Italiens, Hoheitsgebiet der Sacra Corona Unita, der apulischen Mafia. Die Gegend gilt als das Gemüseanbaugebiet Nummer eins in Italien. Nachdem einheimische Arbeitskräfte entweder nicht vorhanden oder für die Landwirte und Großgrundbesitzer zu kostspielig waren, öffnete Italien, wie andere europäische Länder, seine Grenzen, um billige Arbeitskräfte anzulocken. Seitdem herrscht ein grenzenloser und teilweise tödlicher Arbeitsvermittlungsmarkt. Die Ernte läuft unter unmenschlichen Bedingungen ab und mehr als jeder zweite Landwirt rund um Foggia beschäftigt illegale Erntehelfer. "Die Arbeiter werden wie Sklaven gehalten und zwar von denjenigen Landwirten, die gleichzeitig EU-Subventionen erhalten", klagte Stephen Huges, ein britischer Europa-Abgeordneter. "Aber es ist nicht alleine ein italienisches Problem."
Am Straßenrand liegt die verkohlte Leiche eines 45-jährigen Mannes, nicht weit davon entfernt stirbt ein 25jähriger Pole an seinen Kopfverletzungen, nachdem er von einem Auto überfahren wurde. In einem verlassenen Schweinestall wird die Leiche eines verbrannten Mannes entdeckt. Um seinen Hals hängt sein Pass. Er kam aus Polen. Ein 35jähriger Litauer stirbt durch Erstickung, andere Erntehelfer aus Polen sind wegen unbehandelter Krankheiten elend krepiert. "Vielleicht hängt diese Krankheit mit schlechten Arbeitsbedingungen zusammen", meinte ein Carabinieri. Geschätzt wird, dass jährlich rund Tausend in Polen oder anderen osteuropäischen Ländern angeworbene Erntehelfer Sklavenarbeit auf süditalienischen Plantagen leisten. Untergebracht sind sie in primitiven Unterkünften, die von der Staatsanwaltschaft in Bari als "Lager sowjetischen Charakters" bezeichnet wurden. Die Arbeiter und Arbeiterinnen mussten auf der nackten Erde schlafen oder in primitiven Zelten. Flüchten konnten sie nicht, da bewaffnete Capos, häufig Polen oder Ukrainer, sie ständig im Auge behielten. Wer zu flüchten versuchte wurde erschossen oder brutal zusammengeschlagen. Als ein Arbeiter es wagte, unerlaubt in der Stadt einzukaufen, wurde ihm mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen, einem anderen unbotmäßigen Arbeiter wurden beide Arme gebrochen. Andere sind an Erschöpfung gestorben und wurden irgendwo auf den Feldern verscharrt. Die Frauen wurden vergewaltigt und teilweise zur Prostitution gezwungen. Und noch immer werden polnische Arbeiter vermisst. Befürchtet wird, dass sie ermordet wurden. In einem abgehörten Telefongespräch ist folgendes protokolliert: "Ich gehe jetzt ins Feld. Ich lasse nicht zu, dass sie sich so verhalten. Ich habe gesagt, dass ich heute einen oder zwei töten werde, um ein Exempel zu statuieren." Der Capo hatte erfahren, dass einige Arbeiter flüchten wollten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen sagte zu diesen Zuständen: "Ich habe nicht erwartet, so etwas in Italien anzutreffen. Die Situation bewegt sich am Rand einer Notlage, wie wir sie zum Beispiel im Kongo oder in Angola antreffen."
Der Einsatz osteuropäischer Erntehelfer ist ein blühendes Geschäft in einer Region, in der nichts ohne die Duldung durch die regionalen Mafiafürsten von der Sacra Corona Unita möglich ist. Die Capos sind häufig Osteuropäer, Caporali genannt. Sie leisten die Schmutzarbeit für die italienischen Landwirte. Abführen müssen sie einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einnahmen an die örtlichen Mafiafamilien.
Eines dieser Arbeitslager bei Foggia in denen sie quasi Gefangene waren, um Tomaten zu ernten, wurde Im Sommer 2006 von der Polizei gestürmt. Aber erst nachdem der polnische Honorarkonsul massiv Druck auf die örtlichen Behörden ausgeübt hatte. Auf die Frage, warum die Polizei in Foggia bislang nichts gegen die Sklavenhalter unternommen habe, erklärten Zeugen, dass sie bei der Polizei zwar um Hilfe nachsuchen wollten, aber Angst bekamen, als sie dort die gleichen Gesichter sahen, die mit den Capos ihres Arbeitslagers zusammengearbeitet hatten. Die Carabinieri befreiten neunzig Polen und fünfzehn Slowaken aus dem Arbeitslager. Das Gelände war mit Stacheldraht umzäunt und durch bewaffnete Capos bewacht. Bei ihrer Anwerbung in polnischen Zeitungen wurde ihnen ein Lohn von sechs bis sieben Euro pro 200 Kilo geernteter Tomanten versprochen. Anstatt des versprochenen Lohnes erhielten sie drei Euro pro Tag, für Einkäufe in den umliegenden Ortschaften. Die Arbeitszeit war von vier Uhr am frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein. Wer nicht gehorchte wurde brutal zusammengeschlagen. Die Flucht war unmöglich, auch weil ihnen die Reisepapiere abgenommen wurden und keiner italienisch sprach. Für jede Kleinigkeit mussten die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Polen zahlen. Die Fahrt zum Tomatenfeld kostete 1,50 Euro, die Unterkunft 5.50 Euro pro Tag in einer fensterlosen Baracke, oder 15 Euro pro Woche im Zelt. Als Nahrung erhielten sie Wasser und Brot, für das sie ebenfalls bezahlen mussten. Bereits in Polen hatten sie 50 Euro für die Vermittlung und 200 Euro für die Busfahrt von Warschau nach Süditalien gezahlt. Sie wollten ihrer Armut entkommen. Im Juni 2007 griffen die Carabiniere erneut zu. Diesmal befreiten sie 113 polnische Arbeiterinnen und Arbeiter. Zeitgleich wurden fünfzehn Verdächtige, davon elf Polen verhaftet. Der italienische Untersuchungsrichter beschuldigt sie der Teilnahme an einer Verbrecherbande mafiosen Charakters.
Der Run nach billigen Arbeitskräften, ihre Vermittlung, ob in Italien, Spanien oder anderswo ist ein Geschäftsfeld sowohl skrupelloser Geschäftsmacher wie der Mafia gleichermaßen. Nichts unterscheidet sie in ihrer Skrupellosigkeit. Werden diese kriminellen Machenschaften aufgedeckt greift der demokratische Rechtsstaat ein. Der hat jedoch diese Form der Ausbeutung erst ermöglicht, durch die enthemmte Liberalisierung des gesamten Wirtschaftssystems. Das nutzen jene aus, die das archaische Klientelsystem der Mafia vielleicht nicht geklont, sondern vielmehr perfektioniert haben.
http://www.wdr.de/tv/diestory/sendungsbeitraege/2008/0915/index.jsp
Webseite Jürgen Roth
Freitag, 18. April 2008
Eleganter Gitarrenpop mit deutschsprachigen Texten: Sternbuschweg mit "Mein Herz schlägt weiter jeden Tag" (Tumbleweed)
http://www.myspace.com/sternbuschweg
Freitag, 7. März 2008
Soundtrack für die Entschleunigung: Colleen "Les Ondes Silencieuses"
Das Leaf Label ist ein Alptraum für jeden Rezensenten – veröffentlicht es doch Musikprojekte, die sich gar nicht recht einordnen lassen. Ruhig ist die Musik oftmals und spannungsvoll, abstrakt und ungewöhnlich, zwischen elektronischen Klängen, Klassik und Folk changierend. Eines verlangen die Platten auf jeden Fall: Aufmerksamkeit. Aber wer sich darauf einläßt, wird nicht selten mit neuen musikalischen Erfahrungen belohnt.
Da passt Cecile Schott, eine junge französische Musikerin und besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Colleen, ganz wunderbar ins Labelprogramm. Mit ihrer dritten Platte "Les Ondes Silencieuses" wird sie auf der Suche nach ungewöhnlichen Klängen ausgerechnet in der Vergangenheit fündig, denn sie spielt ihre akustisch gehaltene Musik teilweise mit historischen Instrumenten ein. Das wohl ungewöhnlichste Instrument ist eine Viola da Gamba – Vorläuferin des Violincellos, allerdings mit sieben Seiten und angeschlagen wie eine Gitarre. Dieses Instrument entdeckte Cecile, als sie noch im Teenageralter einen Film über den Musiker Marin Marais sah: ein Komponist, der im 17. Jahrhundert mit besagter Viola da Gamba Erfolge feierte und heute fast vergessen ist. Es dauerte Jahre, bis Schott einen Instrumentenbauer fand, der ihr ein ähnliches Gerät nachbauen konnte, und nachdem sie selbst überrascht von dessen klanglicher Fülle war, prägt es jetzt den Klang ihrer Platte. Aber auch andere Instrumente sind zu hören, die in einem Pop- Kontext eher exotisch scheinen: das Spinett etwa, Glasinstrumente, Klarinetten und die klassische Gitarre, von der Multiinstrumentalistin selbst gespielt.
Colleens Album ist der passende Soundtrack für die Entschleunigung. Die Musik bekennt sich zur Stille, entfaltet nur langsam ihre Melodien, wirkt seltsam entrückt und scheint manchmal fast im Raum zu verhallen. Dementsprechend läßt sich der Albumtitel „Les Ondes Silencieuses“ mit „Stilles Wasser“, zugleich aber auch mit „stille Wellen“ übersetzen, und diesen Gegensatz zwischen Stille und Bewegung fängt Schott mit ihrer Musik ein: ruhig und schön, teilweise improvisiert, sehr reduziert in der Instrumentalisierung, aber auch mit Dissonanzen versehen. "Minimal acoustic music" nennt die Künstlerin ihre Klänge auf der Myspace- Homepage, und selten hat eine Platte auf ähnliche Weise dazu eingeladen, akustische Musikinstrumente als Klangkörper zu entdecken. Denn häufig erklingt ein Instrument alleine, seinem Klang wird Raum zugestanden. Mit ihrer gelungenen Mischung aus Klassik, Folk, Postrock und Ambient lädt Colleen dazu ein, Musik als Erfahrungsraum zu begreifen, der auch in der heutigen Zeit noch Entdeckungen zuläßt. Manchmal muss man dafür jedoch einen möglichst weiten Umweg über die Vergangenheit nehmen.
http://www.myspace.com/colleenmusique
Sonntag, 2. März 2008
Thüringen (Lyrik)
doch wie mir der Mund
wuchs mit deinen
Schatten und
Wismuthalden
und zubetonierten
Flussbetten und Hügeln und
Mülldeponien
und Schuttbergen
und Abrisshäusern ich
streite ab und schiebe mich
vorwärts mit den Jahren trage
Ablagerungen auf der
Zungenspitze Kies
zwischen den Zähnen und das
Knirschen hört nicht auf das geht
tiefer mit den Wurzeln und
Schritten geht es mich an
mit der Zeit
Musik, zu schön um Pop zu sein: Stateless "Stateless" (!K7)
Melancholisch und schön: der elektronische Indiepop von Stateless. "These guys are deep" (Roots Manuva)
Doch plötzlich fällt Chris Martin auf, dass Stateless manchmal über das Ziel hinausschießen: zum Beispiel, wenn sie opulente Streichersamples auffahren, die viel zu schön sind um nicht auch kitschig zu sein. Und als ihm zudem noch andere Bands in den Sinn kommen, die ein ähnliches Konzept von Popmusik verfolgt haben: Radiohead etwa, UNKLE, Archive oder die verblichenen Sneaker Pimps, hat er verstanden. Er läßt das Spionieren sein und macht sich davon, ohne einen Einbruch in das Tonstudio riskiert zu haben. Die schwelgenden Melodien von Stateless behält er aber trotzdem im Ohr.
http://www.myspace.com/statelessonline
Freitag, 22. Februar 2008
Musik fürs Fernweh: Yeasayer "All Hour Cymbals"
Um ein Zitat von Peter Handke abzuwandeln: ein guter Song sollte sein, als ob man auf eine Lichtung tritt, und tatsächlich fühlt sich die Musik von Yeasayer ein bisschen so an: ihre Songs schweifen in die Ferne, sind schön und entrückt. Oder tritt man in einen Tempel? Yeasayer sind schon auch ein bisschen esoterisch, haben die Hippie- Musik genauso in sich aufgesogen wie die Weltmusik, und ich will nicht ausschließen, dass in ihrem Proberaum manchmal Räucherkerzen brennen. Sie verbinden afrikanische Perkussion mit osteuropäischen Melodien, mixen arabische Klänge mit Gospel, auch in Indien müssen sie schon mal vorbeigeschaut haben. Über allem schwebt der amerikanische Rock der 60er bis 80er Jahre, mit Falsett- Stimme, mehrstimmigen Satzgesängen und bittersüßen Harmonien. Das ist Musik, um unterwegs zu sein: es gibt sie also noch, jene Bands, die Lust machen einen alten Minivan zu kaufen und irgendwohin aufzubrechen, ohne Landkarte und Zeitplan. Allerdings sind Yeasayer auch clever genug, auf ihrem Trip zu den Sternen einen Zwischenstop einzulegen, um irgendwo da draußen auf ihr eigenes Werk herunterzuschauen und sich ein wenig lustig zu machen:
Yeah Yeah we can all grab at the chance and be handsome farmers,
Yeah you can have twenty one sons and be blood when they marry my daughters,
And the pain that we left at the station will stay in a jar behind us.
We can pickle the pain into blue ribbon winners at county contests.
http://www.yeasayer.net/downloads.html
http://www.myspace.com/yeasayer