Samstag, 31. Oktober 2009

Blumen und Graffiti (Lyrik)




DONE - ein einziges Wort an der Wand, davor
eine alte Frau, Blumen verkaufend. Sitzt
auf einer Apfelsinenkiste, raucht Pfeife, trägt
eine bunte Mütze, zum Schutz vor der Hitze,
doch wer schützt sie vor DONE, es lauert
über ihrem Kopf, schief dahingeschmiert
in blauen Lettern, ist nicht wegzudenken
von dieser Wand, aus diesem kalifornischen
Sommer, doch keiner kauft Blumen,
die Frau alt und knöchern, DONE und ihre
schwarzen Hände, die Sträuße weiß
und blau. Was getan werden muss:
Blumen verkaufen die Miete bezahlen, vielleicht
kommen ihre Enkel, DONE, Blumen Stille
und DONE, die Frau lächelt trägt dieses Wort
im Rücken, Oakland nimm es weg dieses
DONE es kriecht mir in die Augenhöhlen
und sitz ich im Bus vertrocknen die Blumen
auf meinem Schoß
DONE

Montag, 21. September 2009

Wrack (Lyrik)



Im Grunde war es immer derselbe Wald. Dieselbe
Stelle, Gebüsch hinter der Datsche, ein ausgetrockneter
Graben. Dort stand unser Wartburg: Schiff, Ufo und Panzer.

Es gab keinen Zündschlüssel. Kurzes Stottern, Brummen
im Mundraum, dann ging es los, mussten die Gurte
angelegt werden. Fahr nicht so schnell du hebst gleich ab!

Nach Öl stank es, nach Benzin und Harz. Sitzpolster
aufgerissen, wir hielten das Lenkrad umklammert.
Und die Lachse im Wasser, die tödlichen Stromschnellen,

die wilden Bären: auch der Hund musste mit, wir
fuhren ins Minenfeld. Alle Helme aufsetzen!
Schokolade half gegen Raketenbeschuss.

Dann schoss uns der Gegner das Heck weg. Räder
hatten wir schon lang nicht mehr, die Türen
brachen aus dem Rahmen. Jemand brachte

ein zweites Lenkrad mit, so konnten wir uns
aufteilen, den Feind einkreisen. Umzingeln
zur nächsten Richtungsentscheidung:

die einen fielen raus, die anderen
gingen zu Fuß weiter. Im Grunde
war es immer derselbe Wald.




Montag, 8. Juni 2009

Gedicht, das Insekt




Ahnungsvolle flügelschlagende
Bestäubungen, kaum wahrgenommen
an den Rändern sucht es Nischen, Parasit
der inneren Hülle: mehrere Schichten
(Anmutsschleier, mein blaues Auge funkelt!)
zum Schutz, Exoskelett, gehärtete
Cuticula, ist die dünnste die wichtigste,
gibt ein prächtiges Paar Flügel. Die Füße
ein hohler Zylinder. So kann es fliegen
krabbeln springen, kann sich einnisten
(so durstgepeinigt, Mund an Mund, doch
heiß mich dir verzeihn die schwere Wunde)
muss ich meine Hülle abwerfen.
Ständiger Wechsel: das Anwachsen Ab
sterben, auf dem Boden landen, ohne
zu zerschmettern. Häutung: stimulierendes
(aus dem Haargrau, den Stummeln,
den Giftdrüsen: oder lief ich weinend)
bist du verwundbar an den Bruchlinien,
sichtbar gemacht: im Ultraviolett
die feinen Stiche
zertretenen Körper
die Bisse der Wanzen


Montag, 18. Mai 2009

Am Fenster (Lyrik)




Dass ich nun lache: wegen der Frau, die ängstlich

ihren Hals verdreht, auch wegen dem Kind, das gellend

in den Hof schreit, auch wegen der Schritte

auf der Treppe, dass ich mich

wundere: wegen der geplatzten Adern

unter deinen Augen, dass ich nun würgen muss, mich

schüttele und krümme, dass ich verkrampfe,

zusammenzucke, dass ich all das: die alte Frau

am Fenster, mit ihren Brüsten auf dem Sims mit ihren

Schweinsaugen, den dreckigen Hof voll Krempel

und Mondschein, auch die Kinder, die längst

im Bett sein müssten und noch Fußball spielen,

auch jenen Schuh, der ohne Besitzer

neben dem Gerüst liegt, auch die Feiernden

im Park, auch die matt glimmenden

Straßenlaternen und Lampions, auch die Frau

im cremefarbenen Kleid, mit einem Finger

gegen die Stirn tippend, die laute Musik

aus den Boxen, die Notstromaggregate

unten auf der Party, auch die Tische, wackelig

und festlich geschmückt, auch die Holzbänke, auch

die Bierflaschen, die rostroten Stangen

der Schaukel, den Jungen mit Rucksack

an der rechten Schulter, die Fahrräder

in den Hauseingängen, die Klappstühle und

Wäscheleinen, die alte Katze, die dreibeinig

durchs Gras streicht, auch die tief inhalierten

Zigaretten, die lockeren Hüften der Tanzenden,

das Krächzen des dicken Mannes, das Mädchen

mit verfilztem Haar im Nachthemd, auch

das Maklerbüro gegenüber, das immer noch

leer steht, die Slogan an den voll gesprühten

Wänden: „Thüringen, hier stinkt es

nach Roster!“, die cremefarbenen Cocktails, auch

das Zittern der Hausspinnen am Sims, und auch

Dich meine Liebe, dass ich all das nun

laut auslache: es sei mir verziehen.

Freitag, 3. April 2009

Rezension für "Fixpoetry"




Reiseberichte von den „magischen“ Orten zwischen Arbeitswelt, Dichtung und Intimität - Frank Milautzckis neues Gedichtbändchen „Hemden denken“


Rezension von Mirko Wenig


Dass die Hemdsärmeligkeit des Arbeiters etwas Glamouröses besitzen kann, wissen wir nicht erst seit den Selbstinszenierungen von Gerhard Schröder als „Macher“. De facto gehört der Mythos der Hemdsärmeligkeit zu den Verheißungen der Popkultur wie der Hüftschwung zum Rock´n´Roll, stets in Verbindung mit der Erotik körperlicher Anstrengung. In der Bluesmusik beispielsweise wurden Arbeitstopoi verwendet, um den Geschlechtsakt zu umschreiben: „Balling the Jack“ bedeutete in der Eisenbahnersprache, eine Lokomotive auf Höchstgeschwindigkeit zu trimmen, wurde jedoch später auch von Bluesmusikern als Slangbegriff für Sex benutzt. Arbeit, Schweiß, Sex und Rockmusik – diese Begriffe sind bei vielen Musikern kaum zu trennen. Zu erinnern wäre an die schweißtreibenden Auftritte von Bruce Springsteen, an Johnny Cash, aber auch an die Working Class- Inszenierungen des Brit Pop bei Bands wie den Smiths, The Libertines oder Oasis. Und obwohl die Idee von körperlich schwerer Arbeit als Sinnbild für die Schaffenskraft des Menschen, für Muskelkraft, Erotik und Kreativität schon mehrfach destruiert wurde, erlebt sie doch immer wieder ein Comeback.


Arbeitswelten beziehungsweise die damit verbundenen Inszenierungen wären also durchaus auch ein aktuelles Thema für die Lyrik, und es ist verwunderlich, wie wenig es bei Lyrikern der jüngeren Generation eine Rolle spielt. Frank Milautzcki hat sich dankenswerterweise nun des Themas in seinem neuen Lyrikbändchen angenommen, denn in gleich mehreren Gedichten wird geschwitzt, geschuftet und geschaffen. Bereits in seinem ersten Gedicht „Düsenwechsel im Juli“ ist die körperliche Anstrengung bis in die Poren hinein spürbar: „Es muss schnell gehen./ Der eine weiß, wie stark er ist/ und schwitzt in knappen Hemden,/ der andere sammelt heiße Schrauben,/ die klingelnd in die Ausbrennschütte schlagen,/ während alle über seine unbehaarten/ Beine kichern…“ Aber es geht Milautzcki nicht um ein Abbild des Arbeitsalltags. Vielmehr ist in seinen Texten ein weiterer Begriff von Arbeit mitzudenken, der spätestens seit der Romantik an Einfluss gewonnen hat: Arbeit ist auch die Arbeit am Selbst, am Menschen. Der beschriebene Düsenwechsel im ersten Gedicht des Bandes ist eigentlich eine Pause vom Unterwegssein. Aber auch hier geht es um die Verheißung der Mobilität, um die erotische Strahlkraft des Körpers, um das menschliche Miteinander, wofür Milautzcki einen genauen Blick hat.


So ist es nicht verwunderlich, dass auch in jenen Gedichten Frank Milautzckis das Tun und Schaffen des Menschen im Mittelpunkt steht, die nicht explizit Arbeitsprozesse zum Thema haben. „Ponte „Brolla“ heißt der zweite Text des Bandes: eine Ortschaft in der Schweiz, nicht nur berühmt für ihre zauberhaft bizarren Felsformationen, sondern gleichsam auch Austragungsort der Europameisterschaften im Klippenspringen. Auch hier kann sich der Mensch beweisen, ist Teil einer Inszenierung, die auf Ästhetik und Selbsterfahrung abzielt. Im Gedicht jedoch kommt der wahrnehmenden Instanz die Orientierung durcheinander: zugleich Beobachtender als auch Springender, setzt sie zum Sprung an, während die Schultern bereits im Wasser untergetaucht sind. Zwischen Rausch und Taumel allgegenwärtig ist die Gefahr, an der eigenen Inszenierung zu scheitern: „dumm wie Kinder lassen wir uns/ über die Felsen ins Wasser lassen wir uns/ ins tiefe, kalte, klare Wasser,/ wo die Ungeheuer nach den Beinen hangeln/ und der Tod mit weißen Augen jedes Leben käsig/ grün beschmiert, lassen wir uns/ fallen.“


Ich ertappte mich dabei, die Texte als Reisegedichte aufzufassen, denn der Autor erkundet ebenjene Orte, an denen sich das „Projekt Menschwerdung“ täglich vollziehen muss, wobei sich das Unterwegssein leitmotivisch durch den gesamten Band zieht. Es sind Plätze, die auch in der heutigen Zeit noch Magie und Selbsterfahrung versprechen, an denen zugleich das Menschsein am meisten bedroht ist. Selbst wenn Milautzcki scheinbar verlassene Ortschaften und Einöden skizziert –„Das verlassene Haus“ heißt etwa ein Gedicht, gleich mehrere sind mit „Gegend“ betitelt – herrscht dort die Arbeit am Menschen vor. „Sein ipod hing wie ein Amulettstein/ in seinem Habitus“ heißt es über einen wartenden Jungen im Gedicht „Das verlassene Haus“, „… und jeder Satz nur ein Nicken.“ Häufig sind die vermessenen Gegenden auch Sehnsuchtsorte, sind zugleich gespenstische Traumgegenden, für die Milautzcki bizarre Bilder findet. Indem die Alltagsbeobachtungen immer wieder durch die Kategorie des „Wunderbaren“ gebrochen werden, sich zerklüftete wie dämonische Traumlandschaften auftun, beweist Milautzcki auch hier seine Schulung an der romantischen Schule. In diesem Sinne ist auch der Begriff „magisch“ als romantisch zu verstehen: die Möglichkeit der Entzauberung bereits mitgedacht, so dass am Ende vielleicht nicht mehr bleibt als der Tod, als ein Verhallen auch der Dichtung.


Und natürlich sind die Gedichte auch Dialog mit Dichtkunst und mit – Popmusik. Bereits der Titel „Hemden denken“ verweist auf Gedankenarbeit und Reflexion als ein prägendes Moment des Bandes, wovon die poetologische Reflexion nicht ausgenommen wird. In dem Gedicht „neither fair nor unfair“, welches der männlichen Diva Robert Smith gewidmet ist, heißt es: „Vielleicht ist es eine Idee, was aussieht/ wie fiebrige Luft. pair ou impair/ Muster ohne Wert, aber genau von Belang./ Vielleicht macht, was uns durchzieht/ aus allem einen Duft, und auch in der Umkehr/ aus Duft einen ewigen Drang.“ Dies kann auch als Charakterisierung der Lyrik verstanden werden.


Gemeinsam ist jedoch allen Texten Milautzckis: sie verraten eine ethische Haltung, indem sie danach fragen, was der Mensch zu schaffen hat – in der eigentümlichen Bedeutung des Wortes, die Möglichkeit des Scheiterns inbegriffen. Auch diese ethische Haltung ist vom Scheitern bedroht. Im letzten Gedicht wendet sich diese gegen sich selbst. Es wird also noch gearbeitet: in den Werkshallen, am Gedicht, am Menschen:



Ein Satz, den man nicht mehr sagt, ein Haus,

das man verschweigt.

Eine Adresse, zu der man nicht passt.

Ein Tag, der nicht gelebt wird. Ein Stein,

der nicht daliegt. Ich, wie es das Offene

übt und im Vorbeigehen die Rehe füttert.

Und mit den Rehen den Wolf.



Frank Milautzcki: Hemden denken. Gedichte. Verlag im Proberaum 3, Klingenberg 2009.



Montag, 9. März 2009

Live und ungeschnitten: Lesungen zur Buchmesse




Wie jedes Jahr zur Buchmesse in Leipzig startet der Autor dieses Blogs auch dieses Jahr wieder eine umfangreiche Welttournee, um nuschelnd, lallend und vor allem laut vorlesend unzählige Freigetränke an den Tresen der Veranstalter abzuräumen. Los geht es am Freitag dem 13. im Cafe Barcelona, Gottschedstraße. Sonnabend werde ich dann um 12:00 Uhr auf dem Messegelände in Halle 5 zu sehen und zu hören sein: Du bist nicht allein. Nachrichten vom Gemeinschaftsstand der Jungen Magazine

03-13-2009 19:00@Hausdurchsuchung zur Buchmesse
Barcelona, Gottschedstraße 12, 04109 Leipzig, Leipzig, Sachsen 04109
Cost: frei/free


Dienstag, 3. März 2009

Poetryletter bei "Fixpoetry.com"



Bei Fixpoetry.com wurde ich diese Woche mit dem Gedicht "Nachtspaziergang" für den Poetryletter ausgewählt. Dort wird es zukünftig neben Gedichten auch Rezensionen von mir geben. Die Zeichnung stammt von Michael Zauner. Fixpoetry- Eine empfehlenswerte Seite für Lyrik- Leser!